Bolivien

Bolivien: Potosí, reicher Berg, arme Mineros  

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In der einst wohlhabendsten Stadt der Welt schürfen seit über 500 Jahren bis heute Mineros in unmenschlichen Erdlöchern im  „El Cerro Rico“, dem mörderisch, reichen Berg, nach Silber und Zinn und weiteren Erzen. 6 Millionen verheizte Indios aus der spanischen Kolonialzeit klagen an

 

Von Gerd Krauskopf 

Es ist kalt und zugig an diesem Nachmittag auf dem Altiplano im südlichen Zentral-Bolivien, einer Hochebene mit durchschnittlich über 4000 Höhenmetern. Und während eine Indigena mit ihrem Kind und einem kleinen Lämmchen auf dem Schoß hinter mir an einer Mauer hockt, schweift mein Blick in die Ferne zu den majestätischen Gipfeln der indianischen Anden. In einiger Entfernung thront der höchste Berg Boliviens, der Samaja, mit seinen stolzen 6542 Metern. 

BolivienEs ist eine feindliche Bergwelt hier oben auf einer Anhöhe des Hausberges von Potosí, dem „El Cerro Rico“, dem „reichen Berg“, wie man ihn nennt. Kein Baum, kein Strauch, nur Schutt und Steine, soweit das Auge reicht. 

Da stehe ich nun auf dem Vorplatz zur Hölle. Einer Hölle mit 5000 Eingängen. Und diese hier ist meine Pforte zur Hölle. Durch sie und tausende andere schleppen sie seit Jahrhunderten bis heute das Silber und andere Erze aus einer durchwühlten Unterwelt menschenunwürdig hinaus.Bolivien

Zuerst bauten es die Inkas in friedlicher Weise ab für die Errichtung eines Sonnentempels. Bis die Spanier das Land brutal eroberten und die Indios aus allen Teilen ihres besetzten Landes aus den bäuerlichen Gemeinschaften zusammengetrieben haben, um sie zur Zwangsarbeit nach Potosí in die Minen zu verschleppen.

Und die Kolonialherren machten Potosí im 17. Jahrhundert zu einer der größten und reichsten Städte der Welt. Man verschiffte es nicht nur mit Galeonen nach Spanien und ermöglichte dort in Europa „die“ wirtschaftliche Blüte, sondern zeigte auch hier seinen Reichtum, in dem man ihre Hauptstrasse mit Silberbarren pflastern ließ.

BolivienNun, davon ist heute nichts mehr übrig geblieben. Nachdem man dem Berg Jahrhunderte lang das kostbare Metall entrissen und sechs Millionen Indios auf brutalste Weise ihr Leben in diesen Erdlöchern gelassen haben, sank Ende des 19. Jahrhunderts der Marktpreis für Silber. Man konnte es weltweit günstiger abbauen.

Dafür brauchte die Welt jetzt Zinn. Und das fand man neben vielen anderen Erzen auch in diesem Berg. So teilten sich drei „Zinnbarone“ bis in die Anfänge der 1950er Jahre den Berg und legten ihr Vermögen in der ganzen Welt an. Im Land blieb nichts als Armut. Armut, der man heute auf Schritt und Tritt begegnet. 

BolivienIch bin vom Titicaca-See hinauf gekommen, wo ich auf dem größten Süßwassersee in den südamerikanischen Anden die schwimmenden Inseln besucht habe und mit einem Schilfboot der Urus – der Ureinwohner – gefahren bin. In der Kolonialpracht der Stadt Sucre habe ich mich inmitten der weiß getünchten Häuserfassaden gefühlt wie in Andalusien.

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Dort hatte ich aber von Geisterminen hoch in den Anden gute 300 Kilometer entfernt von La Paz erfahren. Einer Hölle mit glanzvoller Vergangenheit, aus der zwangsverpflichtete Indígenas Silber mit einfachen Hacken dem Berg entrissen haben. 

So musste ich mir unbedingt einen Eindruck von den Minen des Schicksalsberges verschaffen. Man sagte mir, dass die bolivianischen Minenarbeiter noch heute in den alten Silberstollen das Erz auf äußerst primitive Weise zu Tage fördern, da auch der Zinnpreis in der Zwischenzeit stark gefallen war.

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Und auf diesem mächtigen Vorplatz aus Schlackenhalde, die mit Schubkarren mehrere Jahrhunderte lang aus dem Berg transportiert und hier abgeladen wurden, stehe ich nun etwas verloren. Nehme eine Karbidlampe entgegen, die mir die Minenschächte ausleuchten soll. Als Kopfschutz wird mir ein abgegriffener Helm in die Hand gedrückt und danach zwänge ich mich in eine gelbe Öljacke hinein. 

Und dann geht’s in die Vorhölle, eine mächtige Höhle mit unvorstellbar vielem Gerümpel wie verrotteten Balken und Bohlen, defektem Werkzeug, gebrochenen Karrenrädern und anderen undefinierbaren Utensilien. Und inmitten all dieser defekten Teile hockt stumm eine Gruppe Mineros mit rußgeschwärzten Körpern und kaut Kokainblätter.

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Die eigentliche Hölle beginnt dahinter in den engen Minengängen, die mit angeknacksten Balken und durchgebogenen Deckenbohlen nur spärlich mit meiner Karbidlampe beleuchtet den Gang gefährlich abstützen. So krieche ich mit meinem Führer Carlos und einer weiteren Touristin Meter für Meter ins Innere des Berges, bis es nach vielen Abzweigungen derart eng wird, dass wir nur noch auf Händen und Knien weiter gelangen.  Dazu wird die Luft stickig und die Öljacke lästig. Auch machen die fühlbare Feuchtigkeit und der Sauerstoffmangel zu schaffen. Dazu schmerzt der Arm vom Halten der Karbidlampe, die kaum Licht spendet. 

Und irgendwann, ich habe jegliche Orientierung in diesen labyrinthischen Stollen bezüglich unserer zurückgelegten Strecke verloren, stößt unsere kleine Gruppe auf den ersten arbeitenden Minero. Er steht in abgewetzten Schlappen in einem überdimensional tiefen Loch, kaut stur auf seinen Kokablättern und lässt sich von uns bei seiner schweren Arbeit nicht ablenken. Carlo flüstert uns zu, dass das Kauen der Kokablätter seinen Hunger betäubt und über seine Erschöpfung hinweg täuscht. Er vermutet, dass dieser Minenarbeiter schon so lange in dieser Mine arbeitet, dass er gar nicht weiß, ob es Tag oder Nacht ist. Bevor es weiter geht, bittet ihn Carlos darum, uns seine Ausbeute zu zeigen. Wir staunen über nur eine Handvoll glitzernder Steine, bedanken uns und halten ihm ein paar mitgebrachte Kokablätter als kleines Geschenk hin, die er schweigend annimmt.Bolivien

Ab hier können wir wieder aufrecht gehen, wobei der Kopf unzählige Male mit Helm geschützt vor einen Balken schlägt. Nach kurzer Zeit ist jedoch dieser Luxus wieder zu Ende. Und bevor wir wieder in die Hocke gehen müssen um weiter zu kommen, lassen wir noch einige Mineros mit nacktem Oberkörper, Hacke und Tagesausbeute in einem kleinen Sack an uns vorbei, die über eine primitive Leiter einem engen Loch entstiegen sind.

Es ist jetzt derart stickig und warm, dass wir eine kleine Pause einlegen müssen. Die nutzt Carlos, um von der Schutzgöttin  „pachamama“, der „Erd-Mutter“ zu erzählen. Oder von  „Tio“, dem Teufel, einer kleinen Lehmfigur, die an ein phallisches Fruchtbarkeitssymbol erinnert und der ich hier schon an vielen Stellen begegnet bin. Den „Tio“, so sagt Carlos, darf man nicht beleidigen, sonst rächt er sich furchtbar. Auch darf es ihm nie an genügend Kokablätter, Alkohol oder Zigaretten mangeln. „Dafür“, so flüstert Carlos ehrfürchtig, „schützt er dich vor Unfällen und sorgt dafür, dass deine Ausbeute immer groß genug ist“.

Während ich in einer engen Nische kauere und die tiefe Dunkelheit mit ein paar schwachen Lichtstrahlen durchbrochen wird, bekomme ich eine Ahnung von der Wichtigkeit der „Götter der Unterwelt“ für diese Menschen.

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„Noch heute“, so sagt Carlos, „können gut 10.000 Mineros nicht von diesem Berg lassen und ernähren mit kleinen Silber- und Zinnfunden über 50.000 Angehörige in Potosí“.

Dann kriechen wir weiter. Ich stelle mich derart ungeschickt an, dass ich mir ständig meinen Kopf stoße. Stützbalken und Deckenbohlen gibt es hier schon lange nicht mehr. Dafür sind an manchen Stellen die Wände mit Steinblöcken versehen. Es ist stickig feucht und der Atem geht schwer. Mein Arm ist lahm in dieser Kriechposition vom Hochhalten meiner Lampe mit dem äußerst spärlichen Lichtkegel. Ich halte immer öfter an, weil mir schwindelig wird und mein Körper schweißgebadet ist. Und während wir fast blind vorstoßen, gibt es einen markerschütternden Schrei meiner Mitstreiterin. Sie hat unsere kleine Dreiergruppe angeführt und ist fast kopfüber in einen Schacht gefallen, den sie in der Dunkelheit nicht gesehen hat, da der schwache Lichtschein ihrer Lampe nach oben geleuchtet hat. Sie konnte sich aber noch in letzter Sekunde mit ihren Armen festhalten, da der Schacht nur sehr eng ist.

Fassungslos bleiben wir erst einmal wie angewurzelt hocken und ich leuchte in die Tiefe des Schachtes. Ein Ende kann ich dabei nicht erkennen.

Der Schrecken steckt uns derart in den Gliedern, dass wir den Rückweg antreten. Und während ich kriechend über das Erlebte nachdenke, gibt es unter uns einen derartigen dumpfen Knall, dass mir fast das Herz still zu stehen scheint. Es folgt ein Zischen und Röhren durch die Minengänge, ich spüre einen starken Luftzug und auf einen Schlag sind unsere Lampen ausgelöscht.

Es ist absolute Stille. Ich wage kaum zu atmen. Eine nie gekannte schwarze Nacht um mich herum, es ist furchtbar. Das einzige was ich höre, sind glucksende Wassertropfen in eine Pfütze, in der wir gerade mit nasser Hose hocken. 

Carlos erlöst mich mit langem und lautem Schimpfen. Irgendwie schafft er es, unsere Karbidlampen wieder ans Brennen zu bekommen. Dann, immer noch mit erhobener Stimme, sagt er uns, dass in bestimmt 1000 Metern unter uns Dynamit gezündet worden ist. Was allerdings, so ist er empört, zu dieser Tageszeit nicht sein darf. „Da gibt es genau festgelegte Zeiten“, so unser erboster Führer, „an denen gesprengt werden darf“.

Während ich noch fassungslos mit zitternden Knochen in diesem engen Gang hocke und mich kaum bewegen kann, muss ich an den Stadtbummel gestern Abend denken. Weit ab von 80 Kirchen aus der Kolonialzeit und einer Stadt, die von der UNESCO ins Weltkulturerbe aufgenommen worden ist, liegen in unzähligen Geschäften im ärmsten Viertel am Fuße des El Cerro Rico frei verkäuflich kistenweise Dynamit-Stangen aus. Generationen von Minenarbeitern fristen dort ihr Dasein. An ihnen und Generationen vor ihnen, die für diesen Reichtum in dieser Stadt und in ganz Europa gesorgt haben, ist aller Reichtum spurlos vorbei gegangen. Potosí, vormals eine der reichsten Städte der Welt, ist heute vergessen.Bolivien

 

Weitere Informationen:

Bei einer Reise nach Bolivien sind die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes zu berücksichtigen. Derzeit können Einschränkungen im internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens auftreten.

Potosí ist eine Stadt im südlichen Zentralbolivien. Sie ist die Hauptstadt des gleichnamigen Departamento Potosí und hat knapp 175.000 Einwohner.  Es befindet sich auf dem Hochplateau Altiplano und ist eingefasst von den Anden auf einer Höhe von etwa 4000 Metern. 

Günstigste Reisezeit: April bis Oktober mit klarer Fernsicht, aber sehr kalt in großen Höhen. Kaum Regen. 

 

Anreise: Am Einfachsten nach La Paz fliegen. Von dort lohnt ein Besuch des Titicacasees. Auf dem Weg nach Potosi unbedingt die Kolonialstadt Sucre besuchen. Von La Paz kann man auch nach Potosí in 4 Std. fliegen (109-278 €). Mit einem Mietwagen sind es von La Paz gute 8 Std. (22-35 € Spritpreis ohne Mietwagenkosten) oder mit einem Bus in 9 Std. (5-20 €) fahren.

 

Eine Minenführung in Potosí bieten mehrere Agenturen an. Treff gegenüber der historischen Münzprägeanstalt Casa de la Moneda, Plaza 10 de Noviembre, Preis zehn bis 17 Euro pro Person inklusive Schutzkleidung.

 

Bolivianische Botschaft in Berlin, Wichmannstr. 6, 10787 Berlin, Tel. 030/2639150, www.bolivia.de

 

Einreisebestimmungen: Der Reisepass muss bei der Einreise noch mindestens 6 Monate gültig sein.