Brasilien, Bundesstaat Rio Grande do Sul

Nostalgie und guten Wein

hautnah erleben

in

Rio Grande do Sul

“Maria Fumaça” Maria kommt jetzt richtig in Schwung. Sie faucht, dampft und sprüht Funken, während ihr mächtig viel Kohle in den feurigen Rachen geschippt wird. Dabei kann die betagte Lady, ein mächtiges Stahlross mit Jahrgang 1941, vom Pioniergeist der Jahrhundertwende viel erzählen. Und alle Fahrgäste wissen das, während sie neugierig aus ihren alten Waggonfenstern zu ihr nach vorne hinüber schauen, wo dunkle Rauchwolken aus ihrem Schornstein von großer Anstrengung zeugen. “Pressa deixa resíduos” – Eile mit Weile, wie der brasilianische Gaúcho hier zu sagen pflegt.

Dabei wurde die alte Dampflokomotive “Maria Fumaça”, die Rauchwolken Maria, mit der Nummer 156 – 5 M Baujahr 1941 von deutschen und italienischen Einwanderern seinerzeit auf die Schienen gestellt, wobei man diese Schienenverbindung bereits 1913 fertig gestellt hatte. Mit ihr wurden die Menschen in ihrer neuen Heimat von der knapp 700 Meter hoch gelegenen, 1890 gegründeten Stadt Bento Gonçalves mit Zwischenstopp in Garibaldi ins 23 Kilometer entfernte Carlos Barbosa im südbrasilianischen Rio Grande do Sul gebracht.

Hilmar Bubolz

Einer, dessen Ur-Ur-Großeltern bei der ersten Welle deutscher Emigranten dabei waren, ist Hilmar Bubolz. Mit seinen vielen Bändchen, die er mit Sicherheitsnadeln an seinem Hut befestigt hat, fällt er mir sofort auf. Jetzt ist er im Auftrag seines jüngeren Bruders unterwegs, der heiraten möchte. Da sammelt er die Einladungen zum Hochzeitsfest. Und für jede Familie, die zusagt, hat er ein buntes Bändchen an seinen Hut geheftet. So will es der alte Brauch, wie er schmunzelnd zugibt. Nur die Jacke, an der noch mehr Bändchen hängen, habe er der Wärme wegen nicht dabei, bedauert er.

Seine Vorfahren stammen aus Pommern. Noch heute sprechen alle in seiner Familie Deutsch – Pomerode, eine pommersche Mundart. Für deutsche Ohren schwer verständlich.

Wie wir auf die bevorstehende Hochzeit zu sprechen kommen, da muss er noch unbedingt eine alte Geschichte loswerden, die ihm seine Großmutter oft erzählt hat. So war es in Pommern Brauch, dass der Landgraf das Anrecht hatte, die erste Nacht mit der Braut zu verbringen. Und da man das mit dem Landgrafen, der dann immer betrunken war, vermeiden wollte, gab man die Braut schon ein/zwei Monate vorher frei. Und so war sie dann schon bei der Hochzeit schwanger und trug ein grünes Band um die Taille, wodurch sie nicht mehr angerührt werden durfte.

Araucaria-BaumDösend schaue ich aus dem Fenster des rüttelnden und sich schüttelnden Waggons. Dabei haben wir Bento Gonçalves bereits hinter uns gelassen. Tropischer Mischwald im hügeligen Bergland mit einer großen Artenvielfalt zieht jetzt langsam an uns vorbei. Dabei fällt ein Baum, der Araucaria mit seinem riesig hohen Stamm und dem ausladenden Schirm, immer wieder besonders auf. Schätzten doch schon die Indianer seine kastanienartig, länglichen Früchte, die Pinhão, die sie im Mai/Juni ernteten.

Cascata do Caracol-WasserfallZum ersten Mal sah ich diese Riesen, wie sie majestätisch aus dem tropischen Dach des Mischwaldes im Parque Estadual do Caracol heraus schauten. Dort stand ich weit außerhalb der kleinen Ortschaft Canela in luftiger Höhe auf einer Aussichtsplattform und schaute begeistert zu, wie der weit unter mir tosende Cascata do Caracol-Wasserfall langsam von einer Nebelwand eingehüllt wurde.

Itaimbezinho CanyonIn diesem Zusammenhang denke ich aber auch an den mächtigen Itaimbezinho Canyon im Nationalpark Aparados da Serra an der Grenze zum brasilianischen Bundesstaat Santa Catarina, dessen Länge von fast  6 Kilometer wir mit unserer kleinen Gruppe am 700 Meter tiefen Canyonrand in Begleitung unseres in Deutschland lebenden  Brasilienspezialisten José Soares von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Lateinamerika bis zum Mirante do Cotovelo abgelaufen haben.

Nationalpark Aparados da SerraAuf der gegenüberliegenden, fast zwei Kilometer entfernten Seite habe ich lange auf das Kronendach des Tropenwaldes  geschaut, dessen nährstoffreiche Schicht mit kleinen Mooren für die dort beheimateten Tiere das reinste Schlaraffenland sein muss. Und über allem kreisten Aasgeier in guter Thermik, als ich Stunden vorher dort drüben auf einem schmalen Trail durch dichten, tropischen Mischwald streifte.

Nationalpark Aparados da SerraDie Bäume waren mit Rinderflechten übersät, wodurch der ganze Wald in sanftgelbem Licht schimmerte. Ich erinnere mich daran, welches zeitlose Gefühl mich an diesem Vormittag ergriff, als ich in dieser durchdringenden Stille den Urwald mit seinem ausgewogenen Gefüge von Arten bestaunte. Da waren aber auch lichte Stellen in diesem tropischen Gefüge, auf deren Boden ich frischen Tierkot entdeckte. Und der soll von Rindern stammen, die hier im Nationalpark eigentlich nichts zu suchen haben. Deren Besitzer - die Fazendeiros - aber, weigern sich seit der Gründung des Nationalparks Aparados da Serra für ein paar lumpige Real ihren Grund und Boden dem Staat zu veräußern. Ob der Streit jetzt im Jahre 2013 zur 60-Jahr-Feier beigelegt wird, ist zu hoffen, denn oft gibt es eine brasilianische Lösung. So wie bei der Festlegung der Bundesgrenzen von Rio Grande do Sul und Santa Caterina hier an dieser Stelle, als man sich zuerst nicht einigen konnte.

Nun ist der untere Canyonbereich bis in eine Höhe von drei Meter zum oberen Rand hin Staatsgebiet von Santa Caterina, und der drei Meter höher gelegene Teil, auf dem wir seinerzeit gewandert sind, gehört zum Bundesstaat Rio Grande do Sul.

“Maria Fumaça”, Jetzt reißt mich Musik aus meinen Tagträumen. Da kommen lustige Italienerinnen und Italiener in unseren Waggon.

Einer von ihnen spielt auf einem Akkordeon stimmungsvolle italienische Lieder, wobei ihre Kopftuch tragenden Frauen von den Männern unseres Waggons spontan zum Tanzen aufgefordert werden. Dabei erinnern die Italiener daran, dass sie die zweite Einwanderungswelle im Jahre 1870 darstellten, die dieses Land hier maßgeblich geformt hat.

Gepflegte Weinkultur in Rio Grande do SulSo könnte man ihre riesigen, gepflegt angelegten Weinberge in der Nähe von Bento Gonçalves im Vale dos Vinhedos mit denen im italienischen Piemont vergleichen, wären da nicht die riesigen tropischen Mischwälder um sie herum. Auch steht der Wein dem aus Italien in nichts nach, selbst der nach Champagnerart gerüttelte Schaumwein des Weingutes Miolo zum Beispiel ist vom Feinsten. Dabei folgt man bei Miolo dem Leitsatz der nachhaltigen Weinentwicklung, um den Charakter und die Vielfalt jeder einzelnen Traube zu bewahren.

“Maria Fumaça”Wie dann unser Nostalgiezug den Bahnhof von Garibaldi erreicht hat, steigen erst einmal alle Gäste aus und schauen sich neugierig alle Details der Dampflok an. Ich hingegen gehe durch alle sechs Waggons hindurch, bis ich im ersten angekommen bin. Von ihm weiß ich, dass es sich um den einzig erhaltenen Originalwaggon handelt.

Hier entdecke ich auch unseren José mit einem Glas Mate Tee, den er in aller Ruhe in dieser „Holzklasse“ genießt, während ein Großteil der Nostalgie-Zuggäste sich an diesem frühen Vormittag auf dem Bahnsteig an regionalem Rotwein gütlich halten.

Mate-Tee Familie Ferrari  Dabei haben wir noch ein paar Tage vorher zugeschaut, wie Familie Ferrari  in Bento Gonçalves die Blätter des Mate-Strauchs mittels einer drehbaren Röhre über dem Feuer eines mächtigen Ofens trocknet, wobei sie gut 30 Prozent Feuchtigkeit verlieren. Mit Transmissionswellen, die am heimischen Bachlauf angetrieben werden, erfolgt die letzte Trocknung über 20 Stunden. In einer Vorrichtung aus dem Jahre 1940 wird noch heute der Feinschnitt der dann getrockneten Blätter vollzogen, bevor er eingetütet und gegenüber auf der anderen Straßenseite im kleinen Laden mit vielen Souvenirs verkauft wird.

Wie ich dann diesen alten Waggon verlasse und draußen auf dem Bahnhofsvorplatz einen Oldtimer-Lastwagen Ford F8 aus den 1950er Jahren stehen sehe, da muss ich an die wunderbaren

„Hollywood Dream Cars“ im benachbarten Gramado denken. Da hatte ich mir viel Zeit genommen, um mir alle diese wunderbar in Hochglanz präsentierten Klassiker anzuschauen.

Cadillac von 1930Highlight dieses wunderbaren Museums war sicherlich ein Cadillac von 1930 der Serie 353 mit einem Achtzylinder-Motor, eine Erweiterung der Serie 341-B von 1929. Konnte man das Zweisitzer Coupe Cabriolet doch mit wenigen Handgriffen zu einem Viersitzer umfunktionieren, wobei die dann hinten sitzenden Personen das ausgeklappte Faltdach genau vor ihren Augen hatten und bei Regen nass wurden.

Cadillac der Serie 353Neben der luxuriösen Innenausstattung fiel mir damals das recht spartanische Cockpit mit dem riesigen Lenkrad auf, was aber der mächtige Kühlergrill mit der stolzen Meerjungfrau als Kühlerfigur mit den bulligen Scheinwerfern wieder wett machte.

Cadillac 1955 - ConversivelEgal, ob ich mir den Cadillac 1955 - Conversivel verliebt anschaute oder durchs kleine Bullauge des Thunder 46 das luxuriös ausgestattete Innenleben bewunderte oder Details des Cadillac 1951 – Conversivel bestaunte:

Cadillac 1959 – Coupe de VilleDie sportliche Version des Cadillac 1959 – Coupe de Ville, hätte ich am liebsten mitgenommen, denn in die gigantischen Heckflossen dieser amerikanischen Luxuslimousine hatte ich mich sofort verliebt.

Wie mir dann alle diese wunderbaren Oldtimer vor meinem geistigen Auge erschienen sind und ich wohl länger auf dem Bahnhofsvorplatz an diesem Ford Oldtimer-LKW gestanden haben muss, da pfeift die Lok zur Weiterfahrt.

Bahnhof von Garibaldi Während alle Gäste in ihre Waggons einsteigen, spielt ein Gaúcho die letzten Akkorde auf seinem Akkordeon und die Arme der beiden jungen Damen wiegen sich ein letztes Mal im Takt. Dafür geht’s dann drinnen weiter. Berto, Laercio und Altair von den „Os Gaúchos“ spielen auf und die Stimmung ist auf dem Höhepunkt.

„Os Gaúchos“Da interessiert niemanden mehr die wunderbare Natur, die an unseren Fenstern vorbeizieht. Da stört es auch niemanden, dass die moderne Welt in diesen Urwald eingedrungen ist und riesige Monokulturen wie schnell wachsende Eukalyptus- und riesige Pinienwälder gepflanzt hat, die den fruchtbaren Boden auslaugen.

Rancho CabotiáDie brasilianische Regierung, so sagte man mir bei einem Besuch auf der Rancho Cabotiá, hat jetzt ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass diese Monokulturen in den nächsten 12 Jahren verschwunden sein müssen. Da ist man nun gespannt, wie es für die dortigen Gaúchos dann weiter gehen soll. Ob sie dann ganz auf Tourismus setzen sollen, das fragen sie sich schon heute.

Rancho CabotiáEin letztes Pfeifen schallt herüber vom guten alten Stahlross “Maria Fumaça”, das jetzt langsam in den Bahnhof von Carlos Barbosa einfährt. Auch als der Nostalgiezug schon eine Zeit lang steht,  da bleibt so mancher noch ein wenig sitzen. Lässt den Charme vergangener Zeiten ein letztes Mal auf sich einwirken.

                                    Gerd Krauskopf

 

Infos:

 

Maria Fumaça:

www.giordaniturismo.com.br

“Maria Fumaça”

 

 

Hollywood Dream Cars:

www.hollywooddreamcars.com.br

Cadillac 1960 De Ville

 

 

Weingut Miolo:

www.wein-brasilien.de/

Weingut Miolo

 

Matetee

Casa da Erva-Mate

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www.caminhosdepedra.org.br

Casa da Erva-Mate 

 

Die Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Lateinamerika e. V.

engagiert sich seit 30 Jahren für die Förderung des Tourismus in den Ländern Lateinamerikas. Rund 80 Mitglieder aus allen Sparten des Tourismus haben sich in der ARGE zusammengeschlossen und setzen sich für ein verbessertes Verständnis dieses einzigartigen Kultur- und Naturraumes ein.

Weitere Informationen der ARGE unter:

http://www.lateinamerika.org/

 

Weitere informationen:

Leider nur auf portugiesisch und spanisch unter

http://www.gramado.rs.gov.br/

sowie:
www.caminhosdepedra.org.

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