Lombardei

Bullerbü am Gardasee

Lombardei 

Seit Anfang Juni sind Italiens Grenzen wieder geöffnet. Auch die Lombardei hofft nun wieder auf Gäste. Vor allem Bauernhöfe sind aktuell die ideale Urlaubsform, um Menschenmassen aus dem Weg zu gehen - so wie das Al Lambic in Prabione. Ein Bericht vom Oktober 2018

 

Von Marco Wehr

 

 Am gegenüberliegenden Ufer sieht man irgendwo in der Ferne die Seilbahn den Monte Baldo hinauf kriechen, während ganz in der Nähe die Glocke der Dorfkirche San Zenone mit zwölf Schlägen die Mittagszeit ankündigt. Ein brauner Mischlingshund schreitet gelassen die Via Campogrande entlang. Autos fahren selten durch Prabione am Rand des Naturparks Alto Garda Bresciano. Die kleine Siedlung liegt auf der Hochebene von Tignale, gut 500 Meter über dem Westufer des Gardasees. Über den Rasen des kleinen Fußballplatzes vor der Kirche hoppeln Kaninchen. Geschäfte zum Einkaufen? Fehlanzeige. LombardeiVor der einzigen Kneipe, der Bar Rainelli, sitzt ein älterer Herr auf einem Stuhl bei einem Glas Rotwein. Drinnen flimmert lautlos Rai Due auf dem TV-Gerät. Eine Bestellung auf Deutsch - unten am See kein Problem - ruft beim Wirt hinter der Holztheke nur ein Lächeln und ein entschuldigendes „Scusi“ hervor. Er deutet mit der Hand auf den Kühlschrank und fordert mit einem „Prego“ zur Selbstbedienung auf. Die deutsche Sprache, unten am Gardasee allgegenwärtig, hat in Prabione einen schweren Stand. Nur das Geschnatter der Wellensittiche, die in kleinen Käfigen vor den Fenstern des Wohnhauses gegenüber hängen, durchbricht an diesem warmen Herbsttag die Stille. Ein Bullerbü-Idyll, nicht in Schweden, sondern in Italien. Dafür aber keine Kinderbuchfantasie. Prabione ist echt.

Nur auf dem Hof „Al Lambic“ herrscht an diesem Oktobertag konzentrierte Anspannung, denn auf diesen Moment haben Alessandro Giardi und sein Sohn Stefano 354 Tage gewartet. Hastig verabschieden sie die beiden Beamten der Guardia di Finanza mit einem „Grazie Arrivederci”, dann kann es losgehen. Kaum ist die Plombe der Steuerbehörde offiziell vom Kupferkessel entfernt, hieven die beiden konzentriert einen Korb Trester über eine Winde in den vorgeheizten LombardeiKupferkessel. Jeder Handgriff sitzt, denn sie haben dieses Brenn-Ritual schon etliche Male zelebriert. Ein Marathon steht an, denn die kommenden elf Tage und Nächte gehören dem Grappa. Tag und Nacht wird der Kessel regelrecht belagert sein – von Familie und Freunden, Bekannten, auch viele neugierige Gäste kommen. Um zu reden, zu schauen, um einfach dabei zu sein. Natürlich will auch immer wieder probiert werden. 300 Liter des edlen Traubenbrands „Rugiada delle Alpi”, zu deutsch „Alpentau“, darf Alessandro, der in einem früheren Leben einmal als Nuklear-Ingenieur arbeitete, pro Jahr brennen. Dann wird der uralte Kupferkessel wieder pünktlich auf die Minute verplombt. Um das Soll zu erfüllen, darf keine Zeit verschwendet werden. 

Der edle Tropfen ist heiß begehrt in Prabione und den umliegenden Bergdörfern der Hochebene, aber auch unter den Gästen des Gutshofs Al Lambic, den die Giardis als Ferienbauernhof mit Zimmern und Ferienapartments betreiben. Das wuchtige Gemäuer aus massiven Natursteinen erinnert an eine Ritterburg aus dem Mittelalter. „Damals im 14. Jahrhundert musste so gebaut werden, denn es herrschten unsichere Zeiten. Hier in den LombardeiBergen trieben sich viele Diebe herum“, erklärt Barbara, Alessandros Ehefrau in fließendem Englisch, warum Al Lambic einer Festung gleicht. Ob sich das heute geändert habe? Bei dieser Frage lacht sie und stellt einen Teller Spaghetti mit Trüffeln auf den Tisch. Zu der Unterkunft gehört ein Restaurant, das zu dieser Jahreszeit natürlich auch den Edelpilz auf der Karte führt. „Schauen Sie sich in Prabione um. Hier leben gerade einmal 150 Menschen. Es ist so still und friedlich, größer kann der Gegensatz zum Trubel unten am See wohl kaum sein.“

LombardeiTatsächlich ist Prabione ein echtes Kontrastprogramm zu den brummenden Touristenzentren wie Bardolino, Limone oder Riva, durch die sich in der Hochsaison Tausende von Menschen pressen. „Einzig das Wasser zum Schwimmen fehlt uns hier oben, aber dann wäre es auch vorbei mit der Ruhe“, meint Barbara und fährt fort: „Im Sommer haben wir zwar ein kleines Schwimmbad geöffnet, aber das ist nicht dasselbe.“ Wie man dennoch eine naturbelassene Badestelle finden und das auch noch mit einer schönen Wanderung verbinden kann, diese Frage kann sie natürlich auch beantworten.Lombardei 

Zunächst führt die Wanderroute Nummer 266 hinaus aus dem mittelalterlichen Prabione, vorbei an Feldern, Obst- und Nussbäumen und Olivenhainen, kein Haus ohne Rebstöcke vor der Tür, bis irgendwann ein Waldstück erreicht ist - ein Stück unverfälschtes Norditalien. Es riecht nach Pilzen, und hier und da begegnen einem Sammler mit „Porcini“ in den Taschen, wie die würzigen Steinpilze in Italien heißen. Nach rund anderthalb Stunden fällt der Weg steil ab. Es geht weiter auf der Route 267, die jäh hinab führt nach Campione ans Ufer des Gardasees. Schmale Pfade entlang schroffer Felswände und über hohe Steinstufen gilt es zu meistern, und Lombardeiimmer wieder eröffnen sich atemberaubende Blicke auf den Lago di Garda. Die winzigen Boote, die auf dem spiegelglatten See fahren, sehen wie Spielzeug aus.

Nach einer weiteren anstrengenden Dreiviertelstunde ist Campione del Garda mit seinen Kiesstränden erreicht. Die Wassertemperatur ist trotz der Jahreszeit noch annehmbar. Einige Windsurfer stellen die Segel in den Wind, und mit lautem Geschrei stürzen sich Paraglider die hohen Steilwände in die Tiefe, um nicht einmal eine Minute später eine Punktlandung auf dem LombardeiBadesteg zu machen. Über die nahe Uferstraße Strada Statale 45 fließt dichter Verkehr. In diesem Moment ist es gut zu wissen, dass irgendwo da oben versteckt Prabione, Alessandro, ein Gläschen Grappa und der Klang der Ruhe warten.

 

Weitere Informationen:

 

Allgemeine Informationen über Italien: Italienische Zentrale für Tourismus (ENIT), Barckhausstr. 10, 60325 Frankfurt, Tel. 069/237434, www.enit.i 

 

Einreise Italien: Die Durchfahrt durch Österreich mit Ziel Südtirol/Italien ist seit 3. Juni 2020 erlaubt – ohne Zwischenstopp und mit Sicherstellung der Ausreise (am besten die Buchungsbestätigung der Unterkunft mitnehmen). Quarantänebeschränkungen gelten nur noch für diejenigen, die positiv getestet wurden oder Kontakt zu Infizierten hatten. Die ausführlichen Einreiseregelungen auf der Seite des italienischen Außenministeriums in deutscher Sprache, www.esteri.it

 

Anreise: Von Riva aus fährt man rund 25 Kilometer auf der SS 45 in Richtung Gargnano. Am Ortsschild von Tignale fährt man rechts hoch auf die SP 38 und folgt dieser für gut neun Kilometer.

 

Agriturismo Al Lambic: Vicolo San Zenone, 1, 25080 Prabione, Italien, Tel. 0039/0365/73402, www.agrilambic.it

 

Seit Anfang Juni 2020 hat das Al Lambic wieder für Übernachtungsgäste geöffnet.

Bar Rainelli: Via Bezzecca, 7, 25080 Tignale, Italien, Tel. 0039/0365/760297

Touristen-Information in Gardola: Via Europa 5, 25080 Gardola di Tignale,Italien,  Tel. 0039/0365/73354, www.tignale.org