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Kanada, der Westen

 Wintermärchen Kanada

Heiße Ohren und dampfende Huskys

                                      Schlittenhundefahren in Westkanada

Verflixter Mist, es ist passiert. Mannomann, wie bekomme ich die Meute jetzt zum Stehen? Ich schreie „ho, hoo, hooo!“, wie ich es vorhin gelernt habe. Aber die hetzenden Huskys rennen weiter. Und mein Schlitten, der in dieser Rechtskurve von den Hunden nicht herumgezogen worden ist, fuhr für Sekunden  weiter geradeaus, gelangte in diesen Hochschnee und kippte um.

 

Hundeschlittenfahren in WestkanadaAlles flog in Sekundenschnelle durcheinander und der feine Pulverschnee gelangt jetzt bis unter die Brille. Mein Gesicht muss von den Strapazen verzerrt sein. Krampfhaft halte ich den Schlitten fest und ein brüllend schroffes „hoooooooooo!“ grollt aus meiner Kehle so laut es geht. Schließlich gehorchen sie und bleiben für fünf bis sechs Sekunden kläffend stehen. Ein Sprung auf die rettenden Schlittenkufen, und schon sind sie wieder nicht zu halten.

 

Mit heißen Ohren merke ich erst jetzt in meinem schneenassen Gesicht, wie eiskalt der Wind hier im Wells Gray Park in British Columbia vom gewaltigen Bergmassiv der Cariboo Mountains herüber weht. Gewaltig stöbern die schneeverhangenen Wolken auf uns zu. Bloß den Hundeschlitten nicht loslassen! Dabei ist der Kopf nach unten gerichtet, die Schirmmütze schützt die Augen vor den waagerecht heranbrausenden Schneeflocken. Derweil sind die Augen starr auf die laufenden Huskys gerichtet und die Zähne zusammengebissen.

 

Und dann, endlich, habe ich es überwunden, stehe jetzt lässig auf den Kufen meines Schlittens. Auch die Tiere haben wieder ihren Rhythmus gefunden, werden ruhig und rennen jetzt keuchend über die weiß schillernde Pracht.

 

Hundeschlittenfahren in WestkanadaWie sich dann aus heiterem Himmel die Wolken verzogen haben und die Sonne mir ins Gesicht lacht, kommt mir unser Guide Mike Müller wieder in den Sinn, der uns dieses Abenteuer versprochen hatte. Er war es auch, der uns die Feinheiten des Hundeschlittenfahrens beigebracht hat. Dabei ist Mike einer von wenigen Züchtern in British Columbia, der die Canadian Eskimo Dogs, die fast vom Aussterben bedroht waren, neben edlen sibirischen Huskys für touristische Fahrten züchtet. „Bei vierzig Grad Minus“, meinte Mike vorhin lachend, „fühlen sich meine gezähmten Polarwölfe erst richtig wohl. Und bei ihrer knochenharten Arbeit kommen sie ohne jedes Futter unterwegs aus.“ Dabei hat er sie nach allen edlen Bränden wie Whiskey, Cognac und Rum benannt. Jetzt sitzt er in gebührender Distanz hinter uns auf seinem Motorschlitten und ist jederzeit bereit, herrenlos ausgebüchste Huskygespanne zu stoppen.

 

Maske und Husky

Eine Eingewöhnungsphase haben uns seine Huskys nicht gewährt. Jeder von unserer kleinen Gruppe bekam die wichtigsten Regeln beigebracht, stellte sich unter Mike’s Aufsicht auf die Kufen seines Schlittens. Und nachdem vorhin der dicke Stahlanker aus dem Tiefschnee gewuchtet worden war, die Fußbremse langsam los gelassen und die kläffenden, jaulenden und zerrenden Vierbeiner von der sie haltenden Kette befreit waren, rannten sie wie vom Teufel besessen los. Und ich, so erinnere ich mich, bekam einen gewaltigen Ruck in meinen Rücken.

 

Jetzt traben sie zufrieden und mit dampfendem Fell in dieser bizarren Bergwelt vor sich hin. Erst jetzt genieße ich die kanadische Wildnis, wenn es nicht gerade bremsend bergab geht oder der Schlitten nach rechts oder links in eine tiefere Spur schlingert. Aber das habe ich auch in der Zwischenzeit im Griff. Dabei geraten die Gedanken ins Trudeln und es kommen mir die

Totempfähle im Stanley Park von Vancouver

Totempfähle im Stanley Park von Vancouver in Erinnerung. Während ich dieser pulsierenden Großstadt an der Westküste British Columbias schnell den Rücken gekehrt habe, galt mein Blick lange diesen acht beeindruckenden Totempfählen am Westende von Downtown an der Strait of Georgia. Da hatte man mir gesagt, dass die dortigen Indianer berühmt für ihre Schnitzkunst waren. Und genau diese acht verschiedenen Pfähle, die eine Art Familienwappen darstellen, sagen aus, wie unterschiedlich die Stilrichtungen der westkanadischen Indianerstämme waren. Dabei erzählt jeder der Rotzederpfähle von einem wahren und mythischen Ereignis einer Stammesfamilie.

 

Vancouver, Westkanada

In dieser fernen Großstadt und auch auf der Ranch von Mike hier unten am Fuße der Cariboo Mountains hat sich bereits der Frühling mit leisen Schritten angekündigt. Nur im  viertgrößten Wasserfall von Kanada, dem  Helmcken Falls am Fuße der Cariboo Mountains

Helmcken Falls in der Nähe unserer Ranch, stürzt der reißende Murtle River beeindruckende 141 Meter in die Tiefe und trifft unten im Talkessel auf ein mächtiges Eispolster, das wohl noch lange vorhalten wird.

 

Hier oben jedenfalls lässt Jack London aus der menschenleeren weißen Wildnis grüßen. Für mich ist es jetzt die schönste Art, mich hier in dieser grandiosen und ursprünglichsten Landschaft der Welt fortzubewegen, alles mit einem Schuss Abenteuer.

 

Hubschrauberlandung in den Cariboo Mountains  in Westkanada

Ein paar erlebnisreiche Tage später geht’s wesentlich komfortabler zu. Da schweben wir mit einem Hubschrauber hinauf in die absolute Einsamkeit der Bergwelt am Fight Meadow, wo sich vor über 150 Jahren schon zwei Gruppen der Nord Tombstone Indianer um die besseren Jagdgründe auf Caribous bekämpften. Und bereits aus dem Helikopterfenster während des Landeanfluges überkommen mich Vorahnungen winterlicher Impressionen, wie sie nur in dieser absoluten, einsamen Bergwelt weit weg von menschlichen Behausungen möglich sind. Die Höhenzüge der unendlichen Bergwelt leuchten verhalten. Das schräge Licht wirft weiche Schatten. Wie wehende Schleier stehen Hügel hintereinander, verlieren sich am Horizont. Und dann, schräg unter uns in dieser Einsamkeit, entdecke ich unsere Berghütte.

 

Während der Helikopter nur eine Minute später kurz die weiße Pracht berührt und der staubtrockene Pulverschnee uns beim Verlassen um die Ohren fliegt, rennen wir mit gebücktem Oberkörper unter den ratternden Rotoren auf die Hütte zu.

 

Vor der dicken Holztüre  werden wir bereits von Ian erwartet. Mit zwei Eimern in der Hand, die mit Schnee für Teewasser gefüllt sind, empfängt er uns. Strom und fließend Wasser gibt es hier in der Einsamkeit nicht. Der meterhohe Schnee ersetzt die Dusche. Mit freiem Oberkörper wird der Schnee über die Haut gerieben, beim Zähneputzen treten da schon Schwierigkeiten auf. Am Abend, bei absoluter Dunkelheit, geht’s mit der Stirnlampe über einen tief gespurten Pfad um die Hütte herum, aus dessen Schornstein sich der rauch kräuselt, auf das kleine Holzklo. Derweil muss sich das Ohr erst an die fremden Geräusche im angrenzenden dichten Föhrenwald gewöhnen. Das Gerücht geht um, dass noch vor einigen Tagen zwei Grizzlybären gesehen worden sind. Und wie war das noch, wie heulen Wölfe?

 

Drinnen verbringen wir den Abend beim Schein der Petroleumlampen in gemütlicher Atmosphäre bei selbst zubereiteten Köstlichkeiten. Bald kommt das Gespräch auf die Holzindustrie und den Umweltschutz. Clearwater am Eingang zum Wells Gray Park, etwa 4 Autostunden nördlich von Vancouver, hat etwa 3000 Einwohner. Davon leben dreiviertel von der Holzindustrie. „Und daher“, so Ian, „ist zu erklären, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung am liebsten den ganzen Park abholzen möchte. Da allgemeine Forststraßen größtenteils fehlen, ist für sie nur ein Kahlschlag ökologisch“. Würde es die Tourismusindustrie in Kanada nicht geben, davon ist Mike überzeugt, so hätte man schon alle alten Bäume in diesem Land abgeholzt. „Die Touristen zerstören die Landschaft hier nicht“, so ist Mike überzeugt, „sondern sie erhalten für uns alle noch ein Stück urkanadische Wildnis“. Dabei sind nur fünf Prozent der kanadischen Fläche geschützt. „Bei uns in British Columbia immerhin noch sieben Prozent“, meint Ian stolz.

 

Um unnötigem Fahrzeugverkehr durch die Wälder vorzubeugen, besteht für Ian die Auflage, vor Beginn der Saison den kompletten Proviant zur Hütte mit einem Hubschrauber hochfliegen zu lassen. Auch dürfen Gäste wie wir hier eingeflogen werden, die den beschwerlichen Wintermarsch von zehn Stunden mit Schneeschuhen nicht zurücklegen können. Jedoch will man durch wenige ausgesuchte Flüge vermeiden, dass hier ein Shuttle-Dienst für „Heli-Hiking“ entsteht oder neureiche ein „Champagner-Frühstück“ auf einem Gipfel veranstalten.

 

Schneeschuhwandeung in den Cariboo Mountains  in WestkanadaAm Morgen geht’s dann mit Schneeschuhen über Schneeverwehungen von gut drei Metern von unserer Hütte hoch hinauf in die raue Bergwelt, in der auf gut zweitausend Metern bis tief in den Juni noch Schnee liegt. Jeder wird vorher mit einem entsprechenden Lawinennotsignal und einer Schaufel im Rucksack ausgerüstet. Da schlagen Herzen höher auf dosierte Outdoor-Romantik mit einer Portion Neugier.

 

Schneeschuhwandeung in den Cariboo Mountains  in WestkanadaDer Battle Mountain mit seinem Feuerbeobachtungsturm ist für einige Geübte unserer Gruppe ein lohnendes Tagesziel. Von dort, so hat man ihnen versprochen, haben sie einen grandiosen Überblick auf sämtliche umliegenden Gebirge von den Coast Mountains im Westen bis hin zu den Rocky Mountains im Osten. Mit dem Fernglas sind sie für den Rest der Gruppe als winzig kleine wandernde Punkte in der weißen Wildnis zu erkennen.

 

Wir hingegen folgen mit unseren Schneeschuhen unter den dicken kanadischen Winterstiefeln den tiefen Spuren einer Gruppe von Caribous. Die Herde überwintert im Unterholz der Föhren und ernährt sich von herunterhängenden Flechten, die wie lange feine Bärte an den Ästen hängen. Während wir mit unseren geliehenen Schneeschuhen ungewöhnlich breitbeinig und leichten Schrittes, ohne einzusinken, staksig dahin stapfen, ziehen weiße Wolkenfetzen über den stahlblauen Himmel. Derweil umgehen wir so manchem kleinen Tannenwald und mächtige Verwehungen, die der Wind im Laufe der Zeit zu abstrakten Formen gepresst hat. Dabei passe ich höllisch auf dass ich nicht mit meinen ungewöhnlich riesigen Schuhplattformen stolpere oder mit der Spitze im Schnee stecken bleibe und ich dadurch kopfüber in den Schnee falle. Hinter uns sieht es aus, als sei eine Horde Elefanten mit ihren dicken Tretern durchs Gelände marschiert.

 

Cariboo Mountains, Westkanada

Dann zählt nur noch die Natur. Und aus der eisig schimmernden Oberfläche der Schneedecke ragen hier und da dürre Äste heraus, deren Stämme ums Überleben kämpfen. Da werden die Schritte bedächtiger wie auch das Tempo des Lebens. Jetzt, hier, in dieser tiefsten Wildnis, erkenne ich andächtig, dass die Natur in Kanadas Westen keine Grenzen kennt. Eine Stille inmitten dieser Gipfel, die ich mit allen Sinnen jetzt aufnehme, die ich fühle und sehe. Eine Stille, die mir aus einer fremden Welt erscheint, aus der sie heraus klingt.

 

Gerd Krauskopf

 

Infos:

Wells Gray Guest Ranch 5177 Clearwater Valley Road, Box 1764 V0E 1N0 Clearwater, BC, Kanada

Wir haben seinerzeit gewohnt bei Mike Mueller auf der Wells Gray Guest Ranch5177 Clearwater Valley Road, Box 1764V0E 1N0 Clearwater, BC, KanadaTelefonnummer: 001 250 674 2792

http://www.wellsgrayranch.com/

Weitere Infos:

Kanadisches Fremdenverkehrsamt:

http://www.konsulate.de/info/info_kanadisches_fremdenverkehrsamt.php

 

Reiseführer:

Polyglott APA Guide Kanada: Der APA Guide Kanada verzaubert mit exzellenten Fotografien und vermittelt tiefe Einblicke in die faszinierende Kultur und Geschichte der Region - von erfahrenen Reisejournalisten und Landeskennern für anspruchsvolle Reisende recherchiert.

sowie der der Westen. Polyglott on tour [Taschenbuch]

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