„La Petite Venise“ – Klein-Venedig in Colmar mit den typischen Holz-Flachbooten
Spaziergänge durch Ortschaften der Elsässischen Weinstraße gleichen einer Reise durch Raum und Zeit.
Von Gerd Krauskopf
Sie verzaubern mit malerischen Gassen, verspielten Erkern und gelebter Geschichte: die Dörfer und Städtchen entlang der Elsässischen Weinstraße. Sie bestechen nicht nur durch ihre prachtvolle Fachwerkarchitektur, sondern auch durch ihren unverwechselbaren Charme. Wie an einer Perlenschnur reihen sie sich vom Fuß der Vogesen bis zur Rheinebene – bewahrt durch Jahrhunderte, beseelt vom Geist der Weinbaukunst und einer bewegten Vergangenheit. Wer das Elsass betritt, betritt einen Landstrich, in dem Zeit keine Eile kennt – und Gastfreundschaft nicht inszeniert, sondern gelebt wird. Orte, die nicht nur Geschichte bewahren, sondern den Atem rauben. Idyllisch, stolz, zeitlos.
Weinberge bis am Fuße der Vogesen, wie hier mit der stolzen Haut-Koenigsbourg
In zahlreichen Orten haben die mittelalterlichen Stadtkerne nahezu unversehrt überdauert – mit engen Gassen, Stadtmauern, Burgruinen und barocken Fassaden, die Geschichten flüstern. Wer durch die Straßen schlendert, begegnet einem Europa en miniature: romanisch, gotisch, renaissancefarben und voller französischer Lebenskunst – aber mit alemannischem Fundament.
Und dann ist da dieser Duft von Sommer und Reben. Im sanften Schwung der elsässischen Hügel recken sich die Weinreben wie grüne Gedichtzeilen dem Sommerhimmel entgegen – voll leiser Versprechen und sonnengetränkter Aromen. Hier flüstert der Riesling vom kühlen Morgennebel, der Gewürztraminer tanzt mit exotischer Würze durch die Luft, und der Pinot Gris schimmert wie Bernstein im Glas – ein flüssiger Sonnenstrahl, geboren aus kalkhaltiger Erde und jahrhundertealter Winzerkunst. Und wenn sich der Tag dem goldenen Abendlicht neigt, perlt der Crémant d'Alsace im Glas wie ein leiser Applaus des Sommers – fein, verspielt und mit Charakter.
Glüht die Sommersonne über dem Elsass in warmem Gold und das Licht tanzt an den Fenstern der Fachwerkhäuser, dann beginnt entlang der Elsässischen Weinstraße eine Reise, die wie ein Flanieren durch eine Zeitkapsel wirkt. Hinter jeder Hausecke verbirgt sich ein neues Detail, das dem aufmerksamen Blick Geschichten zuflüstert.
Saint-Hippolyte mit der Haut-Koenigsbourg hoch oben in den Vogesen
Saint-Hippolyte – In den Adern alter Mauern
Wie in Saint-Hippolyte, idyllisch am Fuß der Haut-Koenigsbourg gelegen. Hoch oben thront das alte Gemäuer in den Vogesen auf 757 Metern Höhe – ein Märchenschloss aus rotem Sandstein, eingebettet in sattes Grün. Seine Türme ragen wie Wachtposten über die Rheinebene, sichtbar bis zum Schwarzwald. Hinter meterdicken Mauern verbirgt sich ein lebendiges Abbild mittelalterlicher Lebenskunst: Zugbrücke, Rittersaal, Schmiedefeuer. Im Innenhof flackert das Licht zwischen Erkern und Balkonen, während der Wind leise durch die Schießscharten pfeift. Oben vom Turm breitet sich vor den Augen das Elsass wie ein Teppich aus – mit Rebenlinien wie feine Pinselstriche. Und zwischen den Reben die kleinen Dörfer wie verstreute Perlen. Von hier öffnet sich ein Tor zu einem Landstrich, in dem Geschichte, Genuss und Handwerkskunst eine charmante Liaison eingehen.
Die engen Gassen von Saint-Hippolyte schlängeln sich wie alte Weinranken durch das Dorf. Bei einem Spaziergang durch das historische Zentrum fällt der Blick auf liebevoll bewahrte Renaissance-Häuser, die stolz ihre Fachwerkornamente und Erker präsentieren. Über hölzernen Eingangstüren wachen geschnitzte Jahreszahlen, oft aus dem 16. Jahrhundert – Zeugnisse von Handwerkskunst und Wohlstand. Fensterläden, bunt gestrichen und von Geranien überbordet, verleihen den Fassaden ein lebendiges Gesicht. Der Dorfbrunnen plätschert am Rande des Platzes unterhalb der Kirche Église Saint-Hippolyte, als würde er Geschichten aus Jahrhunderten erzählen. Ein Gefühl von Ruhe breitet sich aus – als ob selbst die Zeit hier einen Sommerurlaub einlegt.
Riquewihr – Ein Spaziergang durch ein Gemälde
Die mittelalterliche Siedlung lädt dazu ein, sich treiben zu lassen – vorbei an Häusern, die mit ihren holzgerahmten Fassaden wirken, als seien sie mit Zuckerguss verziert. Die Giebel beugen sich einander fast zu, als würden sie sich leise Geheimnisse zuraunen. In den Straßen mischen sich das Klackern von Sohlen auf Kopfsteinpflaster mit dem Duft nach Lavendel, Waffeln und altem Holz. Ein Spaziergang durch Riquewihr gleicht einem Streifzug durch die Seiten eines Märchenbuchs. Hier leuchten die Fassaden in kräftigen Farben – Altrosa, Sonnenocker, Kobaltblau – und dazwischen wieder: Geranien, die wie kleine Feuerwerke aus den Fenstern blühen. Hinter schmiedeeisernen Schildern verbergen sich kleine Boutiquen, Winzerstuben und traditionelle Gasthäuser. Und hier schmeckt der Sommer nach Crémant d'Alsace und Tarte flambée.
Bunte Fachwerkhäuser in Riquewihr schmücken die Altstadtgassen
Eguisheim – Die Spirale der Geschichte
Le Pays d'Eguisheim, oft als eines der schönsten Dörfer Frankreichs gepriesen, lädt zum Umrunden ein – ganz wörtlich. Die Altstadt folgt einem Kreis, als habe ein Architekt mit feinem Zirkel gearbeitet. Der Spaziergang durch diese kreisförmige Gassenstruktur wird zur meditativen Erfahrung: Haus an Haus reiht sich aneinander, jedes mit individuellen Details – Schnitzereien, Türklopfer in Tierform, kunstvolle Giebelformen. Einige Fassaden tragen noch die alten Kelterzeichen der Winzer, andere prunken mit Heiligenfiguren, die als Hauspatrone über Bewohner und Gäste wachen. Hier lässt sich die elsässische Baukultur hautnah erleben – nicht als Kulisse, sondern als gelebter Alltag. Der Wein wird hier in den vielen guten Restaurants zur Lebensart, wo der goldene Riesling zu einem geschmorten Baeckeoffe – Gemüse mit drei marinierten Fleischsorten, gebadet in jeder Menge Weißwein und über Stunden geschmort – serviert wird, dem Inbegriff elsässischer Hausmannskost. Aromatisch, kräftig, bodenständig – wie die Region selbst. Oder Foie Gras – die umstrittene französische Stopfleber-Delikatesse –, die mit Apfelkompott flirtet.
Im Altstadtkern von Eguisheim fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt
Kaysersberg – Fachwerk und Flussgeflüster
Elsässisch Kaisersbari, wo nicht nur die Weiss durch das Herz des Städtchens fließt, sondern auch ein Strom an Geschichten. Entlang des Flusses schmiegen sich bunte Fachwerkhäuser ans Flussufer, teils schief, teils stolz aufgerichtet – doch jedes ein Unikat. Bei einem Spaziergang über die steinerne Brücke schweift der Blick auf Fassaden mit Fachwerk in leuchtendem Ocker und sattem Weinrot, überzogen von Kletterrosen oder wilder Rebe. Einzigartig ist die Kombination aus mittelalterlicher Wehrarchitektur und malerischer Kleinstadtromantik: Wehrtürme, eine Ruine über dem Ort und das Geburtshaus des Nobelpreisträgers Albert Schweitzer erzählen von Intellekt, Widerstand und Humanität – eingebettet in ein fotogenes Gassennetz der Region.
Historische Häuser am Weiss-Fluss in Kaysersberg
Colmar – Flanieren durch Farben, Formen und „Petit Venise“
Der Charme Colmars entfaltet seinen Zauber besonders beim langsamen Schlendern durch das Viertel „Petite Venise“, Klein Venedig. Fachwerkhäuser, teils aus dem 14. und 18. Jahrhundert, spiegeln sich in den Kanälen, jedes detailverliebt in Szene gesetzt. Hier zeigt sich die elsässische Architektur in einer Art Gesamtkunstwerk – bunt, lebendig, ausdrucksstark. Auf den Balkonen hängen hölzerne Figuren, in den Fensterläden verbergen sich geschnitzte Szenen aus dem Alltag. Wo heute auf den Kanälen der Lauch Touristen in traditionellen Holz-Flachbodenbooten – die an die Gondeln Venedigs erinnern – schippern, wurde im Mittelalter frisches Gemüse aus der sumpfigen Vorstadt Krutenau mit solchen Booten direkt bis zum Kai des überdachten Marktes im Herzen Colmars transportiert. Dort, zwischen Renaissance-Fassaden und gotischen Kirchen, wirkt die Stadt wie ein gelebtes Freilichtmuseum, das von Künstlern, Kaufleuten und Genießern gleichermaßen beseelt ist.
Alle diese Spaziergänge durch Ortschaften der Elsässischen Weinstraße gleichen einer Reise durch Raum und Zeit. Die Architektur erzählt nicht nur von Baustilen, sondern von Lebenskunst – verwurzelt, farbenfroh und voller Ausdruck. So legt sich der Sommer wie ein warmer Schleier über die alten Balken und Pflastersteine, lässt Schatten tanzen und Farben leuchten. Wer durch diese Gassen schlendert, taucht nicht nur in die Vergangenheit ein, sondern in ein Gefühl von Heimat, Gastlichkeit und stillem Staunen. Orte, die den Atem rauben. Idyllisch, stolz, zeitlos.
Weitere Informationen:
Highlights Elsass: www.visit.alsace/de/